Die letzten Tage waren von eindeutig zu viel Arbeit geprägt. Beruflich am Limit, zu Hause genauso. Jeden Morgen um 4:30 Uhr aufstehen. Das führt an die Grenzen. Zu Ulrike sag ich Karin, zu Karin Sandra, zu Phil Malte. Das ist ein untrügliches Zeichen. Aus dem Teufelskreis muss ich raus. Am besten klappt das mit einem einsamen Lauf.
So wollte ich dann heute zwischen 10 und 20 km Laufen. Die Strecke hatte ich schon im Kopf, so in Richtung Klippenturm sollte der Weg führen. Alte, fast schon vergessene Trails wollte ich mal wieder laufen.
Start war natürlich wie immer bei Opa Walter. Er war ein Arbeitskollege von mir. Wohnte im letzten Haus am Lehmberg. Meine Kinder sagten immer Opa Walter zu ihm. Denn oft begannen hier unsere Wanderungen. Opa Walter zeigte ihnen Schafe, Kaninchen und Forellen. So haben sie ihn heute noch in Erinnerung. Ich natürlich auch. So oft trafen wir uns hier, sprachen über Land und Leute. Aber nun ist er schon 14 Jahre tot, in meiner Erinnerung lebt er aber immer noch fort. In guter und bester Erinnerung, das sag ich aus vollem Herzen.
Bernd, sein Sohn, freut sich auch jedes Mal, wenn ich hier laufen gehe. Wir beide plaudern über alte, längst vergangene Zeiten, freuen uns über Neuigkeiten, die jeder für den anderen bereit hält. Schön, solche Freunde zu haben. Sieben Jahre ist Bernd jetzt verheiratet, nette Frau hat er. Sie ist eine begnadete Künstlerin, was man schon erkennt, wenn man sich dem Haus nähert. Also alle guten Voraussetzungen für einen schönen Lauf.Selbst das Wetter spielt mit. Phantastischer Indian Summer, traumhaft, kann ich gar nicht in Worte fassen. Und ich geh jetzt laufen.
Die ersten zwei Kilometer führen nur bergauf. Ich lass es langsam angehen, genieße diese Ruhe. Kein Telefon, was klingelt, kein Computer, der mit Zahlen gefüttert werden will. Ich stehe im Bereitschaftsdienst an zweiter Stelle. Brauche also nur raus, wenn mein Kollege nicht klar kommt, und Hilfe braucht. Bei dem schönen Wetter ist mein Eingreifen wohl nicht erforderlich. Ich kann beruhigt laufen.
Auf dem Portaweg laufe ich zuerst in Richtung Todtenmann. An der Absturzstelle des Starfighters halte ich wie immer zu einer Gedenkminute an. Wie viele Menschenleben hat dieses unselige Kampfflugzeug gekostet? Ein trauriges Kapitel in der deutschen Luftwaffe. Auf der Starfighter Seite unter F-104 Infos, gibt es eine Liste der Abstürze und der Opfer.
Aber das Leben geht trotzdem weiter. Ein langer Anstieg liegt vor mir. Kraftschonend laufe ich weiter. Irgendwie laufe ich, aber die innere Ruhe und Freude stellt sich noch nicht ein. Die Nase läuft, wie lange nicht mehr.
Als ich dann in Todtenmann, bei ehemals Wanderers Ruh, die Hauptstraße kreuze, überlege ich kurz, wo ich weiterlaufen soll. Die Entscheidung ist schnell getroffen. Heute mal in Richtung „Haus Waltraut“, denn dort beginnt der erste Trail. Am Regen Rückhalte Becken der Autobahn A2 vorbei, laufe ich auf den schönsten Trails in diesem Berg. Oft bin ich hier mit Stups gelaufen. Damals wurde die A2 von 2 auf 4 Spuren ausgebaut. Zwei Jäger warnten uns, weiter zu laufen. Sie hätten ein Wildschwein angeschossen, was aber weiter gelaufen sei. So viele Erinnerungen kommen hier auf.
Besonders berührt war ich, als ich auf einen älteren Mann auflief. In einem Arm hatte er seinen behinderten Sohn. Beide freuten sich als ich sie grüßte, ein paar Worte mit ihnen wechselte. Fünfzig Meter weiter traf ich auf den zweiten Sohn. Ebenfalls schwer behindert. Aber auch Er freute sich wie ein kleines Kind, als ich ihn ansprach. Das sind Momente, da bin ich ganz dankbar, dass unsere Kinder und Enkelkinder gesund sind. Aber meine größte Hochachtung hat dieser Vater, der sich selbst im hohen Alter noch so liebevoll um seine Kinder kümmert. Gut, dass es solche liebevolle und fürsorgliche Menschen gibt. Bestimmt kein leichtes Los. Gott möge Ihm weiterhin Kraft und Liebe geben.
Was bin ich dagegen für eine armselige Leuchte. Ich schäme mich schon fast, dass ich hier so unbedarft vorbei laufe. Eine Momentaufnahme meines und des Lebens des Vaters der beiden behinderten Söhne. Wie gerne wünscht Er sich wohl mein Leben? Ob er weiß, wie dankbar ich für die Liebe, die Er seinen Söhnen gibt, bin. Solche Menschen brauchen wir viel mehr. In einer Zeit, wo nur noch Dollars und Profit zählen, diese Liebe zu spüren, das ist ein besonderes Geschenk. Ich bin sehr dankbar, das heute erleben zu dürfen.
Jetzt dauert es nicht lange, und ich erreiche den schönsten Teil der Strecke. Ein wundervoller Trail führt mich hoch in den Berg. Einsam, und trotzdem voller Freude führt mich dieser Trail zum sogenannten Spinnenplatz.
Unter mir liegt Rinteln. Den Helenensee kann ich von hier gut erkennen. Carsten ist hier heute auch schon gelaufen, aber wohl auf dem Hauptwanderweg. Diesen Ausblick kennt er bestimmt noch nicht. Am der Spinnenkreuzung brauch ich nicht lange überlegen. Hoch zum Klippenturm, heißt die Devise.
Ich bin hoch erfreut, alle Anstiege hab ich bisher gelaufen, auch diesen. Schön gleichmäßig trabe ich aufwärts. Ein Rettungs Hubschrauber fliegt über mir her, eindeutiges Ziel ist das Robert Wessling Klinikum in Porta Westfalica.
Ich male mir aus, was sich dort wohl gerade abspielt. Bin wieder einmal richtig glücklich, hier so laufen zu dürfen.
Blick vom Klippenturm ins Weser Tal.