Wau, was für ein Tag. Eigentlich wollten wir heute zur „Musikschau der Nationen“ in den AWD Dom nach Bremen fahren. Aber schon gestern zeichnete sich ab, dass wir wohl richtiges Sauwetter kriegen. Genau so kam es dann auch. Heute Morgen fing es an zu schneien. Laut Wettervoraussage sollen am Nachmittag bis zu 25 cm Neuschnee fallen.
Nein, da hab ich keinen Bock 100 km nach Bremen hin und des Nachts über vereiste und verschneite Pisten zurück zu fahren.
Also Alternativen suchen. Na klar, laufen gehen. Mal wieder auspowern bei Schnee- und Schneeregen. So richtig im matschigen Untergrund. Je mehr ich darüber sinnierte umso größer wurde das Verlangen. Mit oder ohne Hunde? Ich beschloss ohne. Da hatte ich aber die Rechnung ohne Bonnie gemacht. Sie umtüdelte mich, gab Küsschen. Dann hob sie mir die rechte, dann die linke Pfote entgegen, tatzte mich. Dazu diese großen Augen. Nein, dann kann keiner widerstehen.
Ich zog mich richtig warm an. Unterhemd, T-Shirt, Fleecejacke. Dann eine Winterjacke und darüber noch die K-way Regenjacke. Das sollte wohl für angenehme Temperaturen sorgen.
Eine etwas dickere Jogginghose schütze die Beine. Aber da bin ich am unempfindlichsten.
Frohgemut fuhren Bonnie und ich zum Sperrtor. Mein Etrex Vista HCx programmiert und dann liefen wir los. Bereits nach 260 Metern, am Stromkilometer 107 hatte ich pitschenasse Füße. Toll, bei 0°C Außentemperatur nicht gerade schön, aber man kann es überleben.
Der Schnee am Boden blieb liegen, der Untergrund war noch matschig. Jeder Schritt ein Risiko, rutsch ich, oder rutsch ich nicht. Schnell bekam ich ein Gefühl dafür, wie ich den Fuß aufzusetzen hatte. So kam ich dann in den passenden Ultraschlappschritt.
Am Spülfeld bei km 109 kam zum Schneefall immer mehr Eisregen hinzu. Der Wind schob von hinten und trieb uns ostwärts. Hier liefen wir auf ein verliebtes junges Paar auf. Eng umschlungen wanderten sie, mit Rucksack bepackt und in Begleitung eines Schäferhundes, auf dem Leinpfad entlang. Sie erschraken richtig als ich an ihnen vorbei lief. Sie hatten wohl nicht damit gerechnet, dass bei dem Sauwetter auch noch andere „Verrückte“ unterwegs sind.
Wir grüßten uns freundlich, die Hunde sich auch, und dann liefen wir weiter.
Gestern liefen wir 12,41 km. In meinem Kopf geisterte diese Zahl immer wieder herum. Heute soll es mehr werden. Auch bei dem Wetter. Ich begann zu rechnen. Stromkilometer 112 wäre ein Weg etwas über 5 km. Also den Punkt passieren und sehen, wie weit wir kommen. Zurück, dann sind es knapp 10, 5 km. Das ist kein Maß für heute. Egal, den Punkt erst einmal erreichen und dann weiter sehen.
Der Schnee wurde immer nasser und der Untergrund zur Matschpampe. Aber bei Stromkilometer 112 war ich noch super drauf. Mein Heimatsender unterhielt mich mit bester Musik. Die Stimmung wurde noch besser.
Gut, das ich mich so dick eingemummelte hatte. Die Kälte und der Wind konnten mir nichts antun. Heute ist mein 15. Tag, an dem ich jeden Tag gelaufen bin. An alte Zeiten bin ich noch nicht wieder dran. Aber ich bin auf dem richtigen Weg.
Grinsend ließ ich km 112 hinter mir. Das nächst lockere Ziel wird der km 113. Toll das hier alles so schön und millimetergenau ausgeschildert ist. Jeder volle Kilometer, alle 100 Meter und als Besonderes alle 500 Meter ein Schild mit Plus Zeichen. Die Angaben stimmen genau mit meinen GPS-Daten überein. Man brauchte eigentlich kein GPS, kann mühelos die Kilometer genau errechnen.
Bonnie bestimmt genau so fröhlich wie ich auch. Nichts konnte sie ablenken, sie will nur vorwärts. Ich brauche nur direkt hinter ihr her laufen, dann hab ich garantiert den besten Weg unter den Füßen. Sie hat da einen Riecher für.
Km 113 wurde locker erreicht. Nichts konnte uns bremsen. Die Wege wurden immer schlechter und es schneite immer noch. Wir ließen den Ort Rusbend hinter uns und links von uns begann der Schaumburger Wald. Malerisch sah er aus, in ein wundervolles Weiß getaucht. Hier hab ich manche Hitzeschlacht erlebt. Lauferinnerungen mit den Läufern des TuS Kleinenbremen standen mir vor Augen. Viele kleine nette Erinnerungen. Ein wunderschöner Lauftag heute.
Das nächste Ziel, der Stromkilometer 114. Mal sehen, wie wir uns dann fühlen. Von dort hin und zurück wären gut 14, 5 km. Nein, da legen wir mindestens noch einen drauf. Bis km 115. Das war das Ziel. Ein schönes Gefühl, wieder so laufen zu können. Dazu bei diesem Wetter.
Ich bin zutiefst glücklich.
So erreichen wir die Wendemarke bei km 115. Bonnie schaut mich verdattert an, als ich um das Schild herumlaufe und es dann wieder zurückgeht. Sie wäre gerne noch weiter geradeaus gelaufen. Auf den letzten Metern merkte ich aber, dass mir unter dieser dicken Schicht Bekleidung ganz schön das Wasser lief. Ich bekam Durst. Aber wozu hätte ich bei so einem Wetter und dann auf einer Strecke unter 20 km etwas zu trinken mitnehmen sollen? Eigentlich ein Anfängerfehler und ich schwor mir Besserung.
Wir waren noch nicht weit gekommen, da fühlte ich erst einmal, wie heftig doch der Gegenwind, der direkt auf uns zukam, wirklich ist. Au man, das hatte ich mir nicht so schlimm vorgestellt. Egal, der lange Rückweg begann. Jetzt muss ich meine mentale Stärke ausspielen. Erinnerungen an einen Lauf Weihnachten vor 10 Jahren. Da hatte ich so ein Sauwetter auf 20 km Länge hier erlebt.
Die kleinen Schneegraupeln wurden langsam auf den Augen lästig. Es tat schon ein wenig weh. Ich zog die Mütze weiter ins Gesicht. Das schaffte etwas Linderung. Der Durst wurde immer größer. Meine Kanne grüner Tee tauchte vor meinen Augen auf. Was hätte ich dafür gegeben, wenn mir die jemand bringen würde.
Wir erreichen km 113. Nur noch 6 km. Ich wollte es ja nicht anders. Ein Mann mit einem Terrier kommt uns entgegen. Der schaut uns merkwürdig an. Aber ich sehe wohl auch wie der Yeti aus. Die Mütze, die Gurtbänder vom Rucksack, alles mit Eis überzogen. Der Schnurrbart völlig vereist. Muss wohl komisch aussehen. Er hält krampfhaft seinen Terrier fest, der uns am liebsten in der Luft zerreißen will. Darum ist er jetzt wohl auch gerade hier, weil hier bei so einem Sauwetter für den Giftköter wohl keine Gefahr besteht. Aber so kann man sich irren.
Der Adrenalinstoß hat gut getan, hat mich aus dem Trott gerissen und erweckt.
Dann ist auch schon km 112 erreicht. Mitten im Hafen von Rusbend. Das heißt, noch 5 km. Die normale Hausstrecke. Auch das gibt Auftrieb. Die schafft man immer, egal wie schwer der Weg auch wird.
Der Durst wird immer quälender. So ein Gefühl hab ich lange nicht mehr gehabt. Deutlich spüre ich, wie ich langsamer werde. Ein kleiner Tiefpunkt baut sich auf. Die nassen Füße werden kälter. Die Zehen sind eiskalt. Egal wie es mir geht. Ich muss schneller werden, den Stoffwechsel anregen, damit ich wieder wärmer werde.
Bei km 111 bin ich wieder im alten Trott. Der kleine Tiefpunkt ist hinter uns geblieben. Die inneren Temperaturen fühlen sich wieder besser an. Die letzten 4 km können mich nicht mehr erschüttern.
Bonnie merkt man nichts an. Sie ist eine begnadete Läuferhündin. Wahrscheinlich sind das die Gene ihres Vaters, der ein Dalmatiner war, oder die der Mutter, einer Labrador Hündin. Eigentlich sind die Vorraussetzungen von beiden Seiten gut.
Auf dem Weg sieht man jetzt keine Spuren mehr, wir legen die erste Fährte. Über dem Schneematsch von vorhinnen liegt nun eine schöne weiße Decke. Die Dämmerung kommt ziemlich schnell. Ich lenke mich ab, indem ich Eindrücke sammele. Das gelingt sehr gut. Ab und zu hört man einen Schuss in der Ferne. Die Jäger sind auch bei so einem Wetter aktiv.
Das Ziel kommt unermüdlich näher. Der letzte Kilometer wird ein innerlicher Triumph. All den widrigen Bedingungen zum Trotz haben Bonnie und ich 17,19 km gelaufen.
Ein Lauf, der mir bestimmt in guter Erinnerung bleibt.