Wesergebirgsläufer
Neuauflage 2024

Tagebuch November

 

Ich habe momentan nicht die Zeit, längere Strecken zu laufen. Der Grund liegt in umfangreichen Bauarbeiten an unserem Haus. Das hat erst einmal Vorrang.           

 


Mittlerweile ist fast jedes Zimmer von irgend welchen Umbau Arbeiten betroffen. Aber ich hoffe, das das Schlimmste nun überstanden ist.



22.11.2010
Der wunderschöne Vollmond ließ mich heute Nacht nicht zur Ruhe kommen. Was bleibt da anderes übrig, als die Gunst der Stunde sinnvoll zu nutzen.
Um 03:00 Uhr bin ich aufgestanden, in die Laufsachen geschlüpft und dann in aller Ruhe zum Nachtlauf gestartet. Bei der Helle des Mondscheins brauchte ich nicht einmal die Stirnlampe einsetzen. Auf altbekannten Wegen lief ich in Richtung Rusbend Hafen. War das mal wieder eine Freude. Wunderbare Nachtmusik meines Heimatsenders verschönte mir die Stunden. Lediglich der frische Wind brachte etwas Unbehagen auf und nach ca. 5 km zog ich mir noch die Regenjacke über. Von da an bildete sich ein angenehmes Laufklima in der Bekleidung. Die Ruhe und Einsamkeit war Balsam auf für die ausgepowerte Seele. Selbst das Schneckentempo, in dem ich mich bewegte, war mir so schei.... egal. Es war einfach nur schön, so alleine unterwegs zu sein.
Das einzig negative an diesem Morgen war das Motorschiff, das mir entgegen kam. Einen Kilometer voraus blendeten mich die Scheinwerfer so sehr, das ich mir die Schirmmütze tief ins Gesicht ziehen musste und nur die nächsten fünf Schritte voraussehen konnte. War ich froh, als der Seelenverkäufer endlich an mir vorbei war. Dieser Lauf baut mich wieder auf, ich fühle die Kraft, die aus ihm erwächst. Es macht nur Freude. Überglücklich erreiche ich nach 16,8 km den Heimathafen. Die Hunde meckern und nöseln, weil ich sie nicht mitgenommen habe. Aber nach kurzer Zeit liegen sie wieder auf ihren Schlafplätzen und ihr schnarchen zeigt mir, das sie nicht wirklich auf mich böse sind.


21.11.2010
Mit den beiden Hunden bin ich heute etwas über 10 km gelaufen. Das Wetter war richtig schön, jedenfalls so lange wie wir liefen. Jetzt sieht es schon wieder nach Regen aus.
Blacky hatte keinen guten Tag. Nach 3 km wollte er schon wieder umkehren. Erst als er merkte, dass er mit seinen Dickkopf nicht durch kam, da lief er wieder, als sei nichts gewesen. Wahrscheinlich war der leckere Duft des Sonntagsbraten, den Ulrike in der Küche brutzelte, verlockender, als jetzt zu laufen.


19.11.2010
Irgendwann ist die Luft raus. Nur noch arbeiten kann es auch nicht sein. Nach Feierabend zu Hause noch bis 22:00 Uhr oder länger arbeiten, das hält das stärkste Pferd nicht aus.
Also mal wieder raus in die Natur. Bonnie und Blacky schlagen Purzelbaum vor Freude und können gar nicht schnell genug ins Auto springen, als sie mich mit den Laufklamotten die Treppe runterkommen sehen.
Das Wetter ist auch ganz schön und so ziehen wir wieder in Richtung Mittellandkanal. Am Sperrtor werden gerade Wartungsarbeiten ausgeführt. Das hängt auch wohl mit dem Neubau der Schachtschleuse zusammen, das größte Projekt, was noch am Mittellandkanal ausgeführt wird.
Wir starten auf der Hafenseite, laufen an dem Binnenschiff „Jürgensburg“ vorbei, das gerade mit geschredderten Bauholz beladen wird. Der Skipper kennt uns schon und freundlich grüßt er.
Hinter dem Hafen beginnt der Leinpfad, bei allen Wetterlagen und Tageszeiten schon von uns plattgetrampelt. Es dauert auch nicht lange, da müssen meine beiden Begleiter erst ihre Schwimmeinlage tätigen. Als erster ist Blacky im Wasser, kurz danach auch Bonnie. Die Uferböschung ist bis kurz über dem Boden glattgeschnitten. Alle Sträucher und das hohe Schilf und Gras ist abgemäht. Die Tiere haben keinen Sichtschutz mehr. Das bemerkt auch Bonnie, die alte Jägerin. Weit voraus erkennt sie schon die Entenschar, die wie an der Schnur aufgereiht am Ufer sitzt. Die Leine steht nur noch unter Spannung, Bonnie gibt das Tempo an. Aber so ein Pech, die Enten flüchten eine nach der anderen auf die Mitte des Kanals. Keine Chance, sie zu erreichen. Bonnie grummelt ärgerlich, Blacky weiß gar nicht, worum geht. Er hat fast keinen Jagdtrieb, außer bei Katzen.
Bonnie beruhigt sich und wir traben gemütlich weiter. Nach 3,6 km erreichen wir die Brücke, über die die Kreisstraße 3 führt. Über sie möchte ich die Kanalseite wechseln und so machen wir es dann auch.  Auf der anderen Seite angekommen sind sich die beiden Tiere einig, dass sie heute mal einen anderen Weg laufen wollen. Wie abgesprochen laufen beide in den Feldweg, der in Richtung Wald führt. Ich lasse sie gewähren. Normalerweise ist dieser Weg kein Problem, aber für uns wird es eins. Denn an alles hab ich gedacht, aber nicht daran, das der kleine Bach,  den wir sonst mühelos überspringen konnten, durch die Regenfälle der letzten Tage zu einem reißenden „Strom“ geworden ist, deutlich mehr als zwei Meter breit. Uns kann nichts erschüttern, wir folgen dem Bachverlauf. Eine schöne Gegend ist es ja wirklich. Auf dieser Bachseite alles Weideland, sumpfig und morastig, auf der anderen Seite der alte, dichte Baumbestand. Hauptsächlich riesige Buchen und vereinzelte Eichen. Da stört mich nicht, dass ich mir im Schlamm schon zweimal die Schuhe ausgezogen habe. Die Füße sind bis über die Knöchel pitschenass. Aber es macht richtig Laune. Getoppt wird es noch, als wir in ein kleines Unterholz kommen, durch das nur ein Wildpfad führt, der kaum zu erkennen ist. Die alte Freude ist wieder da, es macht richtig Spaß. Selbst die Hunde fühlen mit und ziehen fröhlich voraus. Im Eifer des Gefechtes läuft dann schon mal einer rechts und der andere links am Baum vorbei, und es gilt, diesen gordischen Knoten wieder zu lösen. Aber es kommt kein Stress auf, die Freude ist einfach zu groß.
Aber auch diese schöne Strecke ist bald zu Ende und wir kommen wieder auf die K 3, die wir eigentlich nicht laufen wollten. Der breite Radweg neben der Fahrbahn ist aber auch schön zu laufen. Störend sind nur die Autofahrer, die wie bekloppt durch den Wald rasen und sich keine Gedanken um das Wild machen, das plötzlich die Straße queren kann. Wir wissen genau wie dicht Wildschweine und Rehe hier am Straßenrand stehen und wie plötzlich sie die Straße queren können. Oft genug haben wir es schon erlebt.
Auf halber Strecke möchte ich wieder rechts abbiegen, am Mausoleum vorbei nach Rusbend zum Hafen laufen. Aber da spielt Blacky nicht mit. Hundert Meter läuft er noch in den Stichweg rein und dann hat er keinen Bock mehr. Setzt sich auf den Hintern und schaut sich die Gegend an. Kein Einreden hilft, er zickt. Missmutig treten wir den Heimweg an. Siehe da, jetzt kann er wieder laufen wie der wilde Wutz. Er will uns mit lustigen Sprungeinlagen wieder zu Freunden machen, hält zwischendurch an um sich eine Streicheleinheit zu holen. Schnell hat er uns so wieder auf seine Seite gezogen, läuft  viele Meter direkt neben Bonnie her, leckt ihr die Lefzen.  „Alles ist wieder schön, wir laufen heimwärts, das Futter wartet.“ Das scheinen seine  Gedanken zu sein.
Wir laufen auf dem neuen Radweg entlang und biegen dann ab in Richtung Wald. Blacky scheint den Weg genau zu kennen. Er ist jetzt der Antreiber. Wieder im Wald angekommen, fällt mir auf, dass wir noch kein Anzeichen von Wildschweinen im letzten Abschnitt gesehen haben. Hier wimmelt es eigentlich nur so von den Tieren. Bis zum Mittellandkanal treffen wir auf keine einzige Spur. Das macht mir Gedanken.
Wir erreichen den Hafen in Berenbusch und sind nach etwas über 9 km wieder am Auto. Der Wartungstrupp vom Sperrtor ist abgezogen, kein Mensch ist zu sehen. Laut kläffend steht Blacky vor der Autotür und fordert Einlass.  Aber erst werden die Tiere grob abgetrocknet, dann geht es Heimwärts, ab unter die Dusche und erst dann kommt Blackys ganz große Stunde – der Fressnapf wird gefüllt. Die Welt ist wieder in Ordnung.


09.11.2010
Es wird wieder besser. Die gröbsten Arbeiten sind abgeschlossen. Es kehrt etwas mehr Ruhe ein. Die Lust zu laufen überwiegt die Lust auf Arbeit. Also raus, ab in den Wald. Das Herbstwetter genießen, die Freude der beiden Hunde teilen. Das will ich heute wieder erleben.
Start um 15:07 Uhr am Sperrtor. Sofort legen die Hunde los. Nur mit Mühe kann ich das Navi aktivieren. Die Tiere sind nicht zu bremsen. Hinter dem Hafenbecken treiben sie mich in den Schaumburger Wald. Zur Lieblingsgrasstelle. Beide sind sich einig, da wollen sie hin. Nach wenigen hundert Metern kommen wir dort an. Wildschweine haben die Grasnarbe durchpflügt. Zielgerecht findet Bonnie die schmackhaften Grashalme, sortiert wirklich nur die besten aus. Minutenlang sind beide mit dem Grasen beschäftigt. Zwischendurch kommen sie noch in den Genuss eines ausgiebigen Schlammbades. Glücklich schauen beide aus. Ich freue mich bestimmt genau so. Sechs Wochen sind wir hier wohl nicht mehr lang gelaufen. Nur im Dorf ein wenig spazieren gehen, das hat uns alle nicht gefordert. Dementsprechend haben sich natürlich auch wieder zusätzliche Pfunde angesammelt, die wir nun wieder mühsam abbauen wollen.
Der Start dazu war heute.
Es ist einfach toll, wie sich der Wald in sechs Wochen so vollkommen geändert hat. Die meisten Blätter sind gefallen. Buntes Laub auf den Wegen, es ist einfach nur schön. Mich wundert nur, warum die Jäger heute mit so einem Affenzahn durch den Wald fahren, aus ihrem Fahrzeug springen, in den Wald laufen. Dort prüfen sie die ausgelegten Maisköder und beeilen sich, wieder weg zu kommen. Mir schwant da nichts gutes. Die suchen gezielt nach einem speziellen Opfer.
Wir wollen ihnen aus den Weg gehen und beeilen uns, das wir an den Mittellandkanal kommen.
Dort angekommen, treffen wir gleich auf eine Hundeschule, die dort mit ihren Tieren arbeiten. Alles bleibt entspannt. Man beschnuppert sich und dann geht es weiter.
Nach hundert Metern dreh ich mich noch einmal um und sehe eine junge Frau, die soeben auf den Leinpfad abbiegt und uns folgt. Ich nehme es zur Kenntnis und dann laufen wir weiter. Nach einem Kilometer sehe ich sie immer noch hinter uns, der Abstand ist aber deutlich größer geworden. So brauch ich wenigstens nicht aufpassen, das sie mit einem mal hinter uns auftaucht.
Die Tiere springen zwischendurch ins Wasser und genießen es überschwänglich. Dabei halte ich immer einen Blick auf die junge Läuferin.
Bei Stromkilometer 110 kommt uns ein großer Mann entgegen, vollkommen vermummt, die Kapuze über den Kopf gezogen, damit er bloß nicht zu erkennen gibt. Das erweckt etwas Unruhe in mir. Mann weiß ja nie. Ich denke an das junge Mädchen, ob die wohl Angst bekommt, wenn der ihr entgegen kommt.
Ich bleibe stehen, schaue zurück. Bonnie zieht, will weiter. Blacky ganz anders, der sitzt schon auf dem Pöter und schaut fröhlich in die Gegend. Wir verweilen eine Zeit an dieser Stelle und beobachten, was passiert. Ich habe das Gefühl, das Mädchen ist froh darüber. Als der Kapuzenmann an ihr vorbei ist, laufen wir langsam weiter. Immer wieder schau ich mich um, aber alles ist gut.
Die Hunde sind zufrieden und langsam nähern wir uns wieder dem Auto.
Bis ich die Tiere einigermaßen sauber habe und sie im Auto sitzen, vergeht schon eine kleine Weile. 11,4 km sind wir gelaufen, wunderschöne Herbstkilometer.
Das Mädchen kommt nun an uns vorbei gelaufen, winkt uns zu und ihr Gesicht strahlt genau so glücklich wie meins.